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Ein vernünftiger Kerl

Ein vernünftiger Kerl

Sandersdorf/Bernburg. Der Horizont ist die Grenzlinie zwischen der sichtbaren Erde und dem Himmel. Auf die Situation bezogen, in der sich Michél Hennig derzeit befindet, ist die sichtbare Erde das, was offensichtlich erscheint. Und der Himmel steht sinnbildlich für das, was mancher nicht sehen will.

Am Montag ist Michél Hennig mit dem Zug nach Sandersdorf gefahren. Er hat seine Vertragsauflösung unterzeichnet, seine Vereinskleidung abgegeben und in der Umkleidekabine noch einmal nachgeschaut, dass er auch keine Privatsachen zurücklässt. Vor dreieinhalb Jahren wechselte Hennig nach Sandersdorf. Seit dem Wochenende ist klar, dass er die längste Zeit Unioner gewesen ist: Hennig wechselt zum Oberliga-Konkurrenten TV Askania Bernburg.

Nur oberflächlich ein Widerspruch

Dass Michél Hennig für das MZ-Gespräch ein hallesches Café, das das Wort Horizont im Namen trägt, aussucht, muss nicht mit Bedeutung überladen werden. Jedoch merkt man dem 23-jährigen gebürtigen Leipziger, der in Halle im zweiten Semester Politik und Wirtschaft studiert, an, dass er sich wünschen würde, dass die Menschen, die ihn wegen seines Wechsels kritisch sehen, ihren Horizont erweitern würden. Um seine Sicht der Dinge.

„Ich sehe mich als vernünftigen Kerl“, sagt Michél Hennig. Und: „Ich halte mein Wort, so wurde ich erzogen.“ Dass er trotz gültigen Vertrages bis 30. Juni 2016 Sandersdorf verlässt, sieht da oberflächlich wie ein Widerspruch aus. Hennig weiß das.
Ein langer Prozess

Die Entscheidungsfindung war ein langer Prozess. Und wenn man Hennig erzählen hört, was er in seine Überlegungen hat einfließen lassen, wie er abgewogen hat, wie er nicht nur seinem Blickwinkel, sondern auch den anderer Personen Beachtung schenkte, kann man nur zu zwei Schlüssen kommen: Entweder Hennig ist ein grandioser Schauspieler. Oder er ist einer von jenen Fußballern, denen man wirklich abnehmen kann, wenn sie sagen, dass sie eine schöne Zeit hatten, nun aber weiterziehen müssten, um sich sportlich und persönlich weiterzuentwickeln.

Im Januar ging es langsam los mit den Gerüchten, Union Sandersdorf könnte sich aus wirtschaftlichen Gründen aus der Oberliga zurückziehen. Die Wochen verstrichen, immer wieder neue Wasserstandsmeldungen kamen den Spielern in der Kabine zu Ohren. Klartext sprach niemand. „Das hat eine Eigendynamik entwickelt, weil jeder ein anderes Gerücht gehört hat“, erinnert sich Hennig.

Im Februar hatte Hennig ein ernsthaftes Angebot vom VfL Halle 96 vorliegen. Im April, als bei Union immer noch nicht klar war, wie es weitergehen soll, sagte Hennig dem VfL ab.

Entschluss Anfang Mai

„Ich habe mich nicht beirren lassen, ich wollte mit Sandersdorf Spiele gewinnen“, erzählt Hennig. Doch da war diese Erinnerung von seiner kurzen Zeit beim SV Naunhof. Im Sommer 2010 ging er von Lok Leipzigs U19 zum ambitionierten Landesligisten aus Sachsen. Doch im Saisonverlauf ließ der SV durchblicken, die Bemühungen herunterzufahren. „Der Präsident hat sich dann vor uns gestellt und klar gesagt, was Sache ist“, erinnert sich Hennig. Mit dieser Klarheit konnte er sehr gut leben.

Als Anfang Mai in Sandersdorf immer noch nicht sicher war, in welcher Spielklasse Union antreten wollen würde, fasste Michél Hennig den Entschluss zu gehen. „Das Gesamtpaket aus Unsicherheit und Unklarheit hat dazu geführt“, sagt Hennig. Er sprach mit dem Präsidenten Uwe Störzner, mit Mannschaftsleiter Ralf Streich, mit Trainer Mike Sadlo und dessen Co-Trainer Michael Stelzl. Das Gefühl, dass sie seine Entscheidung verstehen, hat Hennig nicht. „Ich bin traurig, dass das so ist“, sagt er.

Michél Hennig hat die vergangenen Monate als Stress empfunden. „Ich bin sehr harmoniebedürftig“, sagt er. Und: „Ich bin keiner, der die Vereine wechselt wie die Unterhosen.“ Die komplette Jugend verbrachte er bei Lok Leipzig. Es folgte eine Spielzeit in Naunhof und ein halbes Jahr in Markkleeberg. „Ich war dreieinhalb Jahre in Sandersdorf. Und es war eine schöne Zeit mit dem Aufstieg unter Trainer Rainer Lisiewicz und den Oberligajahren mit Mike Sadlo. Ich habe von beiden Trainern viel gelernt.“

Man merkt Hennig an, dass er sich einen schöneren Abschied aus Sandersdorf gewünscht hätte.

Bernburg hat einen Plan

In Bernburg empfängt man ihn mit offenen Armen. Dass Bemühen vom TV Askania, ihn zu gewinnen, beeindruckte Hennig. Obwohl Bernburg wusste, dass er einen Vertrag hat und Ablöse fällig werden würde. Und auch trotz der Tatsache, dass Hennig ab Mitte Oktober ein Auslandssemester in Neuseeland antreten wird. Doch bleibt die Frage nach der sportlichen Perspektive. Bernburg wäre unter normalen Umständen in dieser Saison kein Oberligist, beendete die Spielzeit 2014/15 als Tabellenletzter.

Hennig erklärt es so: „Bernburg war in der letzten Saison zwar schlechter als Sandersdorf, aber während Sandersdorf die Bemühungen etwas herunterfährt, geht in Bernburg die Entwicklung nach oben. Da steckt ein Plan dahinter. Das ist mir wichtig.“ Trotz des Auslandssemesters will er auf 20 Spiele kommen. Und er hat Ziele mit Bernburg. „Wir wollen in der ausgeglichenen Oberliga diesmal nichts mit dem Abstieg zu tun haben.“

Am Donnerstag fährt Michél Hennig mit seinem neuen Verein ins Trainingslager. Die vier Tage werden dann nicht nur für intensives Training genutzt. Er wird seine neuen Mitspieler kennenlernen und sie ihn. Er wird beginnen, das Spielsystem von Trainer Thomas Diedrich zu verinnerlichen. Michél Hennig wird seinen Horizont erweitern. (mz)

Quelle: Sport Bitterfeld - Mitteldeutsche Zeitung

16.07.2015

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